Feldforschung, Spiritualität und Tanz: Religionsästhetische Beiträge auf der DVRW-Tagung in Bayreuth

Auf der diesjährigen Tagung der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft stehen gleich mehrere Panel zu ästhetischen Themen an, die auch aus Aktivitäten des Arbeitskreises hervorgegangen sind. Auf unserer Tagung in Tübingen knüpften sich Verbindungen, die zu der Gründung gleich zweier Arbeitsgruppen führten, die nun auf der Tagung ihre Synergien präsentieren. Dies geschieht in jeweils einem Panel zu den Ästhetiken, Praktiken und Temporalitäten gegenwärtiger Spiritualität und zu Dynamiken der Verkörperung von Identitäten, Gottheiten und Wohlbefinden im Tanz. In einem weiteren Panel widmen wir uns endlich der Frage nach „gemischten Gefühlen“ in der Feldforschung, das im Juni 2021 bei unserem Online-Austausch zu Emotion und Ritual aufgekommen war. Auch in einer neuen Buchreihe zu Religion in Asien, die mit einer Roundtable-Diskussion eröffnet werden wird, spielt die Religionsästhetik eine tragende Rolle.

CP17 Gemischte Gefühle: Emotionen in der Feldforschung zu gelebter Religion

Di, 14:30-16:00

Mit Brigitte Luchesi, Esther-Maria Guggenmos, Peter Bräunlein und Gerrit Lange

Feldforschung kann mit „gemischten Gefühlen“ einhergehen: sowohl die emotional mitreißenden und ergreifenden als auch die befremdlichen und teilweise in moralische Konflikte führenden Situationen werden nach wie vor selten wissenschaftlich als eigenes Thema behandelt. Auch eine Forscherin bleibt nicht immer von den Ängsten und Sorgen anderer Ritualteilnehmer verschont.

Dies ist für das Konstruieren und Formen von „Religion“ insofern hochrelevant, als dass Gefühle in zahlreichen Definitionsversuchen von Wörtern wie „Religion“, „Ritual“ oder „Mythos“ eine zentrale Rolle spielen. Die Stimmungen und Gefühle, die wir in Ethnographien schildern, spielen eine oft unterschwellige und wenig reflektierte Rolle dabei, wie wir Religionen benennen, beschreiben und kategorisieren. Die Beiträge zielen auf eine offene Diskussion, in welcher dieses in der Forschung unterbeleuchtete Thema auf der Grundlage der über lange Jahre hinweg in der Feldforschung arbeitenden Beitragenden Gestalt gewinnt.

CP18 Gegenwärtige Spiritualitäten: Ästhetiken, Praktiken, Temporalitäten

Mi, 14:30-16:00

Mit Anna Matter, Isis Mrugalla, Henriette Hanky, Lisa Grellert und Marita Günther

Ausgangspunkte des Panels sind empirische Beobachtungen und Fallbeispiele zu rezenten Dynamiken der wachsenden Popularität spiritueller Konzepte und körperlich-materieller Praktiken sowie der Digitalisierung aller Lebensbereiche. Die unter Spiritualität, Magie, Okkultismus und Witchcraft gefassten Kulturtechniken und religiösen Ausdrucksformen stehen dabei beispielhaft für Wandlungsprozesse ‚anderer‘ Wissensformen.

Gemeinsam ist den im Panel untersuchten Bereichen die Infragestellung gewohnter Grenzziehungen und Deutungshoheiten um Wissen und Wissensproduktion in Feldern der Kultur und der Akademie. Bisherige Grenzziehungen verschwimmen, verschwinden oder werden sichtbar als schon längst verknüpft. Digitale Praktiken und Communities kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Die Beteiligten fragen nach neuen gesellschaftlichen Bedeutungen von Medien, sozialen Systemen und (körperbezogenen) Praktiken der Wissensproduktion im Spannungsfeld von Weltdeutungen, Digitalität, Materialität und Kunst.

CP12 Tanz als religiöse/spirituelle Praxis – Dynamiken der Verkörperung von Identitäten, Gottheiten und Wohlbefinden

Do, 9:30-11:00

Mit Anja Lüpken, Isabella Schwaderer, Gerrit Lange, Eva Leick

Körper sind von Kultur und Diskurs durchdrungen, sie dienen der Kultivierung, sind Werkzeug, Prozess und Projektionsfläche zugleich. Tanz als ästhetische Praxis kultiviert Sinne, Körper, Emotion/Gefühl und Diskurs, Tanzpraxis wird Aushandlungsort von Identität und Wirklichkeit.
Im Tanz können Alternativen zu ästhetischen Mustern, emotionalen Regimen und religiöspolitischen Konstruktionen erprobt, experimentell ausgearbeitet und eingeübt werden. Gerade für Frauen ergibt sich aus dem „third space“ des Tanzraumes und der Bühne ein
Gestaltungsspielraum, in dem traditionelle Geschlechteridentitäten, religiöses Selbstverständnis sowie national-religiöse Geschichtskonstruktion neu ausgehandelt oder aktualisiert werden können.

Tanz als Praxis beeinflusst die Körper der Tanzenden, aktiviert, beruhigt, reguliert, strukturiert. Dabei können Emotionen und Stimmungen erzeugt sowie außeralltägliche Bewusstseinszustände induziert und verstärkt werden. Von Gefühlen des Wohlbefindens und der Freude in kollektiven Kreistänzen, über Göttinnen, die sich in ‚Besessenheit‘ verkörpern, bis hin zu selbstermächtigtem Empowerment in religiöser und nationaler Identität konstituiert und transformiert Tanzpraxis Gemeinschaft – unter den Tanzenden, mit tanzenden Göttinnen und zwischen inszeniertem Bühnentanz und Publikum.

RT2 Materialitäten, Gender, globale Verflechtungen – Ein aktueller Blick auf Religion in Asien und eine neue Buchreihe

Mo, 16:00-17:30

Mit Esther-Maria Guggenmos, Edith Franke, Karénina Kollmar-Paulenz, Dorothea Lüddekens, Monika Schrimp, Hubert Seiwert und Gerrit Lange

Ob die schwierige Situation der Uiguren in China, die Einflussnahme normativ-sunnitischer Gruppen auf politische Prozesse in Indonesien oder die zunehmende Präsenz buddhistischer spiritual care in Japan – Religion in Asien ist im öffentlichen Diskurs und Leben präsent,
insbesondere auch in politischen und regionalspezifischen Zusammenhängen. Die Religionswissenschaftler*innen dieses Roundtable Panels arbeiten zu Indonesien, China, Japan und Nordindien und wissen aus der eigenen Forschung, wie weitreichend religiöse Gruppierungen, Diskurse oder Praktiken Teil globaler Konflikte, Entwicklungen und Narrative sind. Aber auch in regionalen Kontexten verändern sich Religionen in enger Verflechtung mit Entwicklungen wie Urbanisierung, Migration und lokalen Genderpolitiken. Diese Verflechtungen und die lebensweltliche Verortung aktueller religiöser Themen systematisch reflektiert in den Blick zu nehmen, ist eine wesentliche Aufgabe religionswissenschaftlicher Forschung.

Wir diskutieren in diesem Panel anhand konkreter Beispiele aus der Forschung, inwieweit die systematische Ausrichtung auf Materialität und Ästhetiken, der Einbezug globaler Verflechtungsräume, sowie gendersensibles Arbeiten Schlüssel zu einem adäquaten Verständnis solcher komplexen Zusammenhänge sind. Was leistet die Religionswissenschaft bei der Suche nach einem angemessenen Verständnis religiösen Lebens, das kolonial gefärbte Denkmuster hinter sich zu lassen sucht? Anlass zu diesem Roundtable ist die Gründung einer neuen Reihe „Religion in Contemporary Asia – Gender, Aesthetics, and Global Entanglements (RCA)“ beim Verlag Mohr Siebeck, welche die Relevanz gegenwartsbezogener, global orientierter Religionswissenschaft betont und damit das bisherige Repertoire des Verlags um eine explizit religionswissenschaftliche Dimension erweitert.

Die Podiumsdiskussion schließt mit einer kurzen Vorstellung der Reihe durch den Verlag, welcher abschließend zum Sektempfang einlädt.