Bericht zur Jubiläumstagung in Tübingen, Oktober 2022

Die von Prof. Dr. Isabel Laack und Isis Mrugalla organisierte Jubiläumstagung des Arbeitskreises Religionsästhetik an der Universität Tübingen brachte viele langjährige und neue Mitglieder zusammen. Die Tagung eröffnete mit einer Keynote von Graham Harvey (The Open University, UK), die Religion als sinnliche Relationalität fasste und damit die Fragen der Religionsästhetik mit Personenkonzepten gekonnt verknüpfte. Am Folgetag loteten wir in einem Workshop gemeinsam die Verbindungslinien zu Harveys Konzepten des New Animism und relationaler Religion aus. Fredrik Jansson, Promovend der Religionswissenschaft an der Universität Lund, stellte in diesem Rahmen seine Arbeiten zu Materialität, Personenkonzepten und Ritualität bei den Lakota vor. Im Lauf unseres Gesprächs setzte sich unser Arbeitskreis dann mit der Notwendigkeit eines „ontological turn“ un dessen religionsästhetischen Implikationen auseinander.

Im zweiten Teil der Tagung ließen wir zunächst 15 Jahre Religionsästhetik Revue passieren. Nach 15 Jahren kann man beinahe von drei Generationen sprechend, die an unserem Arbeitskreis mitwirken: Gründungsmütter und -väter, Wissenschaftler, die die Religionsästhetik in ihrem akademischen Werden bereits begleitet hat, aber auch erst kürzlich hinzugestoßene Nachwuchswissenschaftler. Was bewegte und bewegt sie? In welcher Rolle sehen sie die Religionsästhetik? In Kurzpräsentationen ließen wir uns durch Alexandra Grieser, Anne Koch, Monique Scheer, Esther-Maria Guggenmos, Gerrit Lange und Lina Aschenbrenner je konkrete Bedeutungshorizonte der Religionsästhetik eröffnen und stellten fest: Offenheit und Innovationskraft des Arbeitskreises sind das, was uns überzeugt und immer wieder zusammenbringt, auch wenn von Kognitionswissenschaften bis hin zu ostasiatischer Emotionsgeschichte, von Emeriti bis Promovenden unser Spektrum breit ist.

Die Suche nach dem Proprium der Religionsästhetik ist so nicht nur eine Ansammlung von  bestimmten Schlüsselbegriffen. Auf die Dimensionen sinnlicher Erfahrbarkeit von Religion zu achten geht weit über ein additives Ansammeln von Sinneswelten hinaus: „Religionsästhetik ist ein bestimmtes Wissenschaftsverständnis zu den Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Wissen“ so Anne Koch, die einen besonderen Fokus auf Körperwissen und den Einbezug kognitionswissenschaftlicher Zugänge legt. Dadurch, dass Religionsästhetik die Ästhetiken des Säkularen immer mitdenkt, ergibt sich eine große Anschlussfähigkeit an andere Disziplinen. Religionsästhetik ist nur als „connective concept“ (Alexandra Grieser) sinnvoll konzipierbar und zeichnet sich durch eine besondere Selbstreflexivität aus. So sind auch Fragen nach den Ästhetiken neuer Technologien und künstlicher Intelligenz eine logische Konsequenz dieses Ansatzes. Gesellschaftlich könnte Religionsästhetik – zusätzlich zu der der Religionswissenschaft ohnehin idealerweise inhärenten Rolle als unabhängige Beobachterin – einen Beitrag dazu leisten, Praktiken des Überzeugens und Begeisterns zu analysieren (Practices of Creativity, Wow moments, peak experience How do I teach my body not to be enthusiastic?). Erwogen wurde auch, ob und wie Ästhetik weniger anthropozentrisch gedacht werden könnte. Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass der Fachinformationsdienst RelBib, der in Tübingen verortet ist, sein wertvolles Engagement dem Arbeitskreis vorstellte.

Lina Aschenbrenner eröffnete den dritten Tag als Tanzpädagogin und unter ihrer Leitung erprobte der Arbeitskreis neue Möglichkeiten der Interaktion und des Einbezugs von Körpererfahrung. Das leitete über in einen thematischen Block zu gerade im Raum stehenden Ideen für Tagungen und Konferenzen. Zwei Schlüsselbegriffe, mit denen wir uns in den nächsten Jahren noch weiter beschäftigen werden, sind

  • Simulation, die wir auf drei intensiven Panels auf der EASR-Tagung in Cork zum Thema machen – sowohl als Forschungs- und Lehrmethode als auch als neurowissenschaftliche Theorie der verkörperten Kognition und des Erkennens von Emotionen, und
  • Emotionen und Gefühle als sinnlich-körperliche Grundlage wie auch als kulturell erlernte Praxis religiöser Ästhetiken, Intensitäten oder inszenierter „Atmosphären“, um die es auf der DVRW-Tagung  in Hannover 2019 und auf den beiden Online-Treffen im Juni und Juli 2021 ging.

Publikationen – als Sammelband oder Special Issue einer Zeitschrift – und weitere Tagungen zu diesen Themen sind in Planung. Wir freuen uns über den Austausch mit Graham Harvey, den wir auch gern in Zukunft fortführen (vgl. seine Reihe Religion and the Senses).

Gerrit Lange / Esther-Maria Guggenmos